Sechstes Kapitel
Entblößung

»Wo zum Teufel ist sie? Ich habe dir doch gesagt, daß du ein Auge auf sie halten sollst!« schrie Waldemar Forseus zornig seinen ungeschlachten Sohn an.

»Ohne Pferd oder Kutsche kann sie doch nicht weit sein«, meinte der ältliche Sohn gelassen. Sein Vater war rot vor Wut, denn er hatte seinen Sohn schon minutenlang beschimpft. Forseus’ spärliches graues Haar stand wild von dem ansonsten kahlen Schädel ab; die kleinen, eingesunkenen Augen blitzten vor Wut, und seine sorgfältig manikürten, dicklichen Bauernfinger klammerten sich so fest um die Reitpeitsche, daß die Knöchel weiß hervortraten.

»Wir hatten dich doch erst nächste Woche zurückerwartet«, setzte der Sohn mit aller Verwunderung seines schlichten Gemüts fort.

»Das ist wohl offensichtlich!« donnerte Forseus. »Ist der Teufelsbraten bei ihr?« fragte er dann mißtrauisch.

»Nein, ich habe Katelina gerade eben mit Rakeli im Obsthain gesehen.«

»Nun gut, geh mir aus den Augen«, bellte Forseus gereizt. »Ich hätte es besser wissen sollen, als von dir irgend etwas Vernünftiges zu erwarten. Du schlägst nach deiner Mutter, du dummer Bengel.«

Der Sohn mit seinem einfachen Gemüt war aber von dieser Tirade in keiner Weise eingeschüchtert, er drehte sich bloß auf dem Absatz um und ging langsam zurück in die Ställe, wo er immer am glücklichsten und zufrieden war. Dort fütterte er die Tiere, striegelte sie und sprach mit ihnen. Nach all den Jahren hinterließen die Wutausbrüche seines Vaters nicht den geringsten Eindruck bei ihm.

Forseus stapfte nun ins Haus, warf seinen Mantel, Hut und die Reitpeitsche auf den Tisch in der Diele und brüllte nach seinem Diener.

»Bring mir Kwas in mein Arbeitszimmer«, befahl er ihm grimmig. »Laß die Tür offen«, fügte er hinzu, als der Diener den Krug vor seinen Herrn stellte und sich zum Gehen anschickte.

Forseus saß eine Dreiviertelstunde tief in seinem Ledersessel, trank in tiefen Zügen sein Kwas und hatte die scharfen Augen starr in die Diele gerichtet.

Das Objekt seiner Warterei öffnete schließlich die Tür und trat ins Haus. Alisa riß vor Schreck die Augen auf, als sie den Mantel und Hut auf dem Tisch in der Vorhalle entdeckte. Der vor Schreck angehaltene Atem blieb ihr in der Kehle stecken, als eine verhängnisvoll drohende Stimme aus dem Arbeitszimmer drang.

»Einen kleinen Spaziergang in der Frühlingssonne gemacht, Madame Forseus?« fragte er hinterhältig, während sein Blick lüstern über Alisas Gestalt fuhr und jede Einzelheit ihres Aufzugs wahrnahm. Er hatte nicht zuletzt aufgrund seiner Umsicht ein Vermögen als Händler zusammengerafft, und er bemerkte sofort die Knitterfalten in ihrem Kleid, den feuchten Saum und die fleckigen Schuhe.

»Am Fluß gewesen, meine Liebe?« fragte er mißtrauisch. »Das ist eine ganz schöne Strecke vom Haus entfernt, nicht wahr?«

Alisa war wie angewurzelt stehengeblieben. Die unerwartete Heimkehr ihres Mannes paßte nicht zu seinem sonstigen zuverlässigen, berechenbaren Wesen. Ihre Gedanken durchrasten hundert Entschuldigungen und Vorwände, die aber alle nicht passend schienen, denn keine konnte die sinistre Richtung der Fragen ihres Mannes ablenken.

»Ja«, gestand sie hilflos errötend, denn mit dem aufsteigenden Entsetzen in ihrer Seele konnte sie keine ruhige Fassade bewahren.

»Ja?« wiederholte er langsam, aber dann wallte seine Wut wieder stärker auf, weil seine fanatische Eifersucht alle Vernunft hinwegfegte.

Forseus hatte Alisa begehrt wie ein Sammler ein schönes Gemälde, um sie zu besitzen. Sie war sein bestes Stück, ein weiterer Schatz, den er als Zeichen seines Reichtums vorzeigen konnte. Aber er schätzte sie nicht mehr als die anderen Symbole seines Wohlstandes, nicht mehr als seine Zuchthengste, seine antiken Teppiche oder seine Waffensammlung.

Er hatte mit ihr auch der Welt zeigen wollen, daß er aufgrund seines Geldes angesehen genug war, um eine Adlige zu heiraten. Außerdem hatte er das junge Mädchen begehrt, weil sein allmählicher schwächer werdender Sexualtrieb mit einundsechzig immer stärkere Reize gebraucht hatte. Außerdem hatte er schon immer eine Vorliebe für Jungfrauen gehabt. Als der Reiz des Neuen nach den ersten Monaten ihrer Ehe sich verflüchtigte, verschwand damit allerdings auch sein Trieb, und selbst Alisas junger, zarter Körper hatte nicht mehr gereicht, um seine Begierden zu wecken.

Damals hatte Forseus sie in Ruhe gelassen, weil er stärkere Reize in den Bordellen fand, die sich auf sexuelle Abartigkeiten spezialisiert hatten. Aber die jungen Mädchen dort hatten es auch nicht mehr vermocht, ihn zu befriedigen. Vor drei Wochen hatte er zufällig vor Wut auf Alisa eingeschlagen und erstaunt entdeckt, daß diese Schläge ihn sexuell stark anregten. Es hatte nicht gereicht, um den Akt zu vollziehen, aber die Prügel wurden zur Befriedigung an sich.

»Vielleicht möchte Madame Forseus«, schlug er nun mit schmeichelnder Stimme vor, indem er seinen fetten Wanst aus dem tiefen Ledersessel hievte, »mich nun auf einen kleinen Gang begleiten, denn Sie scheinen ja das Freie sehr zu genießen.«

Er trat auf Alisa zu, die immer noch wie versteinert in der Diele stand, umklammerte mit eisernen Fingern ihren Arm über dem Handgelenk und leitete seine entsetzte Frau hinaus in das schwindende Nachmittagslicht.

Er zwang sie in den Wirtschaftshof, während er Trivialitäten vor sich hinplauderte, die Alisas empfindliche Nerven und ihre zitternde Furcht noch verstärkten. Dann öffnete er die Tür zu einem Stall mit einem Schlüssel, den er an einer Kette um den Bund trug, schob sie in die leere Kornkammer und schloß die schwere Tür.

»Nun, Madame Forseus«, grunzte er mit einem fanatischen Glitzern in den Augen, legte seinen Rock ab und rollte die Ärmel auf. »Vielleicht besprechen wir hier, wo Sie den Nachmittag verbracht haben.«

Dann griff er nach einem Haken an der Wand, zog ein Tau herab, schlang das eine Ende sorgfältig zum Knoten, ließ diesen auf den Boden fallen und wickelte sich das andere Ende um die Hand.

»Wo wollen wir anfangen, meine Liebe. Wo bist du gewesen?« Er holte mit dem Seil aus und traf Alisa an der Schulter. Sie zuckte vor Schmerz, sprach aber kein Wort, noch sah sie ihn an.

»Komm, Schatz, hast du die Zunge verloren?« spottete er kalt, holte erneut aus und schlug Alisa heftig über die Brust.

Unter der Kraft dieses Hiebs sank Alisa in die Knie. Gott helfe mir, betete sie stumm, denn sie wagte es nicht, ihm die Wahrheit zu sagen. Dann würde er sie mit Sicherheit umbringen. Wenn sie bloß die Qualen aushalten konnte, wenn sie sich so weit beherrschen konnte, daß sie nicht vor Schmerz aufschrie, dann würde Gott vielleicht so gnädig sein, sie vor Schmerzen in Ohnmacht fallen zu lassen.

Zehn Minuten später wollte der schwer atmende Forseus gerade aufhören, als Alisa das Bewußtsein verlor, zu Boden sank und sich dem Trost der Ohnmacht hingab.

Nachdem er die Ärmel herabgerollt hatte, wischte er sich den Schweiß mit einem seidenen Taschentuch von der Stirn und zog den Rock wieder an. Dann verließ er verstohlen den Stall und schloß die Tür hinter sich ab.

Viel später an diesem Abend, nachdem er der mißtrauischen und ungläubigen Maria erzählt hatte, Alisa sei kurz vor Sonnenuntergang nach Viipuri gegangen, bestellte er ein Tablett mit Essen und ein Glas Wein in sein Arbeitszimmer.

Als es stiller im Haus geworden war und es schien, als schliefen alle Bewohner, ging Waldemar Forseus vorsichtig durch den Häuserschatten in den Wirtschaftshof, schloß die Stalltür auf und stellte das Tablett auf den Boden neben seine Frau, die immer noch ohnmächtig war.

Ehe er sich wieder fortschlich, zog er ein kleines Fläschchen aus der Westentasche und goß die Hälfte der Flüssigkeit in das Weinglas.